Kontaktrecht zu Kindern und Lebenspartner jetzt noch zulässig?

Grundrechtsverletzung oder gerade noch legitime Maßnahmen? Rechtsgrundlage, Auslegung und Kritik:

Mit der Verordnung 98 (Verordnung gemäß § 2 Z 1 des COVID-Maßnahmengesetzes, BGBl. I Nr. 12/2020) gilt seit 16.03.2020 zur Verhinderung der Verbreitung von COVID 19 ein Betretungsverbot von öffentlichen Orten. Davon ausgenommen sind nach § 2 Z 5 Betretungen, wenn öffentliche Orte im Freien alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren betreten werden sollen; gegenüber anderen Personen ist dabei Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten. Diese Verordnung gilt zunächst bis Ablauf des 22.03.2020. Es ist zu erwarten, dass diese verlängert wird.

Bei strenger Auslegung dieser Verordnung dürfen seit gestern Elternteile, die nicht im selben Haushalt mit ihren Kindern leben, diese nicht mehr sehen und bekommen auch getrennt lebende Ehegatten und Lebensgefährten bzw Lebenspartner (unabhängig vom Geschlecht) ihren Partner – für vermutlich längere Zeit – nicht mehr zu Gesicht. Es stellt sich nunmehr die Frage, ob mit der Verordnung eine derartig strenge Regelung tatsächlich bezweckt war, zumal sowohl Bundeskanzler Sebastian Kurz als auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober in den Medien erklärten, „dass Paare mit getrennten Wohnsitzen einander sehen dürfen und auch Eltern ihre Kinder abholen dürfen, wenn sie nicht im selben Haushalt wohnen“. Ob private Besuche hiermit tatsächlich erlaubt sind, ist mE offen. Nachdem empfindliche Strafen von bis zu EUR 3.600,00 pro Verstoß drohen, wäre eine dementsprechende Klarstellung angebracht.

Zu den Grundrechten

Zu den bedeutendsten Grundrechten als verfassungsgesetzlich gewährleistete subjektiv-öffentliche Rechte für jeden Einzelnen „in Zeiten von Corona“ zählen insbesondere

  • das Recht auf persönliche Freiheit (BVG persönliche Freiheit; Art. 5 EMRK)
  • das Recht der freien Wahl von Aufenthalt und Wohnsitz (Art. 6 Abs. 1 StGG; Art. 2 Abs. 1 4. ZPEMRK)
  • das Recht auf Erwerbs(ausübungs)freiheit (Art. 6 StGG)
  • das Recht auf Datenschutz (§ 1 Datenschutzgesetz)
  • das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK)
  • das Recht auf Vereins- und auf Versammlungsfreiheit (Art. 12 StGG)

Artikel 8 EMRK besagt, dass jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs hat. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist von einem weiten Familienbegriff auszugehen, der nicht nur die Kernfamilie (also Eltern, minderjährige Kinder und Ehegatten) umfasst, sondern auch andere Formen familiärer Bindung wie – nicht verheiratete – Lebensgefährten/-partner mit einer stabilen Beziehung, erwachsene Kinder, Großeltern und Enkelkinder, Geschwister, Onkel und Tanten sowie Nichten und Neffen.

Demnach kommt jedem Elternteil und dem Kind das Recht zu, sich zu sehen bzw zu treffen und auch Paare, die nicht miteinander (in einem Haushalt) leben, haben das Recht auf Kontakt.

Kontakt zu Kindern im Besonderen

Der Zweck des Kontaktrechtes zu Kindern besteht insbesondere darin, die Verbundenheit zwischen Kind und Elternteil zu bewahren und eine persönliche Nahebeziehung aufrecht zu erhalten, damit es nicht zu einer Entfremdung kommt. Ein weiterer, anerkannter Zweck des Kontaktrechts besteht darin, dass sich der kontaktberechtigte Elternteil durch die persönlichen Kontakte mit dem Kind von dessen Gesundheitszustand und Erziehung überzeugen kann.

Mittlerweile sind auch diverse andere Kontaktformen, wie Telefonanrufe, „skype“149-Kontakte, Brief- oder E-Mail-Verkehr, Geschenkaustausch und dergleichen anerkannt (§ 187 Abs 1 ABGB). In besonderen Situationen, wie beispielsweiser einer großen räumlichen Entfernung zwischen den Wohnorten des Kindes und des Kontaktberechtigten, sind grundsätzlich Telefon- oder „skype“-Kontakte notwendige Mittel, um die persönliche Beziehung zu wahren. Die konkrete Ausgestaltung ist im Zusammenhang mit dem Kindeswohl und dem jeweiligen Einzelfall zu beurteilen.

Dass in der derzeitigen Situation – alleine schon zur Aufrechterhaltung der Gesundheit – persönliche Kontakte zu eigenen Kindern und Lebenspartnern auf die oben dargestellten Maßnahmen eingeschränkt werden können, ist wohl zulässig; dies wird auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Fraglich ist aber in welcher Ausprägung und über welchen Zeitraum diese Maßnahmen aufrechterhalten werden dürfen.

Amnesty International betrachtet die bisherigen Maßnahmen, die derzeit in Österreich und in anderen europäischen Ländern zur Bekämpfung des Coronavirus gesetzt wurden, als sinnvoll und verhältnismäßig. Es ist aber mit den so genannten „gelindesten Mittel“ zu reagieren. Die Herausforderung des Grundrechtsstaats liegt zweifelsohne im Ausgleich zwischen der Freiheit des Einzelnen und den Belangen der Allgemeinheit.

Faktisch wird wohl – aufgrund der erlaubten Zwangsmaßnahmen (etwa iZm der Verhängung von Geldstrafen) – der Polizei weitreichendes Ermessen zukommen. Wenngleich die Möglichkeit für jeden Einzelnen besteht, diese Maßnahmen (insbesondere nach dem Epidemiegesetz) im Nachhinein vom Verfassungsgerichtshof überprüfen zu lassen und damit Rechtschutz zu erhalten, wird möglicherweise zu diesem (späteren) Zeitpunkt der Kontakt zu nahestehenden Personen schon abgebrochen sein oder eine Entfremdung. Die Notwendigkeit derartiger Maßnahmen ist daher in regelmäßigen Abständen zu prüfen!

Im Zusammenhang mit derartigen CoVID 19-Fragen steht unsere auf familien- und erbrechtliche Fragen spezialisierte Partnerin und Rechtsanwältin Dr. Birgit Leb, MBA zur Verfügung.

Stand 15.03.2020
Wir weisen darauf hin, dass sich die Rechtslage laufend ändern kann, sind aber bemüht die Inhalte auf dem aktuellsten Stand zu halten.

Ansprechpartner
Dr. Birgit Leb
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