Virtuelle Gesellschafterversammlungen und das neue VirtGesG

Im Rahmen der Covid-19-Pandemie hat der Gesetzgeber mit dem „Gesellschaftsrechtlichen COVID-19-Gesetz“ (COVID-19-GesG) eine gesetzliche Grundlage für die „virtuelle“ Abhaltung von Gesellschafterversammlungen geschaffen. Das COVID-19-GesG ist jedoch mit 30.06.2023 außer Kraft getreten. Um „virtuelle“ Gesellschafterversammlungen weiterhin zu ermöglichen, wurde nunmehr das „Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz“ (VirtGesG) erlassen. Dessen Inhalt stellen wir im Folgenden näher dar.


Inhalt


Für welche Versammlungen gilt das VirtGesG?

Das VirtGesG ist anwendbar auf

  • Hauptversammlungen einer Aktiengesellschaft sowie einer Societas Europaea (SE),
  • Generalversammlungen einer GmbH, einer Genossenschaft sowie einer Europäischen Genossenschaft (SCE),
  • Mitgliederversammlungen eines Vereins, eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit (Mitgliedervertretung) sowie eines kleinen Versicherungsvereins, und schließlich auf
  • Vereinsversammlungen einer Sparkasse.

Mitumfasst sind auch Versammlungen von Repräsentationsorganen der Gesellschafter, wie etwa die Delegiertenversammlung einer Genossenschaft oder eines Vereins oder die Mitgliedervertretung als oberstes Organ eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit oder eines kleinen Versicherungsvereins. Auf Versammlungen von Organmitgliedern (wie z. B. Aufsichtsrats- oder Geschäftsführersitzungen) oder Versammlungen der Gesellschafter anderer Rechtsformen findet das VirtGesG hingegen keine Anwendung. Das VirtGesG führt jedoch zu keinerlei Einschränkungen von bereits bisher bestehenden Möglichkeiten, Versammlungen ohne Anwesenheit der Teilnehmer abzuhalten. Dies wird auch für Versammlungen von Organmitgliedern klargestellt, obgleich sie nicht vom Anwendungsbereich umfasst sind

Welche Arten von virtuellen Versammlungen sind vorgesehen?

Das VirtGesG differenziert zunächst zwischen der „einfachen virtuellen Versammlung“ und der „moderierten virtuellen Versammlung“:

  • Bei der „einfachen virtuellen Versammlung“ muss eine Teilnahmemöglichkeit durch eine akustische und optische Zweiweg-Verbindung in Echtzeit bestehen. Erforderlich ist somit eine gegenseitige Hör- und Sichtbarkeit der Teilnehmer. Dieses Kriterium wird (zumindest bei einem begrenzten Teilnehmerkreis) von den gängigen Videokonferenzsystemen erfüllt.
  • Bei der „moderierten virtuellen Versammlung“ ist eine optische und akustische Echtzeitübertragung (z. B. über einen Livestream) erforderlich. Eine gegenseitige Hör- und Sichtbarkeit muss hingegen grundsätzlich nicht gegeben sein. Allerdings müssen die Gesellschafter die Möglichkeit haben, sich im Wege elektronischer Kommunikation (z. B. per E-Mail) zu Wort zu melden. Die tatsächliche Wortmeldung ist den Gesellschaftern sodann im Wege der Videokommunikation zu ermöglichen. Eine moderierte virtuelle Versammlung eignet sich somit insbesondere für Gesellschaften mit größerem Gesellschafterkreis.

Da die obigen Vorgaben eine gewisse Ordnung innerhalb der Versammlung erfordern, ist eine moderierte virtuelle Versammlung daher nur zulässig, wenn ein Versammlungsleiter vorhanden ist.

Den Gesellschaftern muss bei moderierten virtuellen Versammlungen möglich sein, ihr Stimmrecht im Wege der elektronischen Kommunikation auszuüben.

Ferner differenziert das VirtGesG danach, ob alle oder nur einzelne Teilnehmer auf virtuellem Weg teilnehmen:

  • Bei einer (klassischen) „virtuellen“ Versammlung nehmen alle Teilnehmer virtuell teil.
  • Bei einer „hybriden“ Versammlung wird den Teilnehmern das Wahlrecht eingeräumt, ob sie virtuell oder physisch teilnehmen.

Wer entscheidet darüber, in welcher Form die Gesellschafterversammlung abgehalten wird?

Im Gesellschaftsvertrag (bzw. der Satzung oder den Statuten) kann vorgesehen werden, dass Gesellschafterversammlungen stets in virtueller Form abzuhalten sind (und es somit grundsätzlich keine Präsenzversammlungen mehr geben soll). Alternativ kann der Gesellschaftsvertrag die Entscheidung über die Form der Abhaltung aber auch dem Einberufenden überlassen.

Selbst wenn der Gesellschaftsvertrag vorsieht, dass ausschließlich virtuelle Versammlungen abgehalten werden sollen, können bei Anwesenheit und Zustimmung sämtlicher Gesellschafter auch Präsenzversammlungen stattfinden.

Überlässt der Gesellschaftsvertrag dem Einberufenden einen Entscheidungsspielraum (etwa hinsichtlich der Frage, ob eine hybride Abhaltung erfolgt), hat dieser bei seiner Entscheidungsfindung die Interessen der Gesellschaft (z.B. an einem geregelten und gut planbaren Ablauf der Versammlung) jedoch auch die – bekannten oder mutmaßlichen – Interessen der Teilnehmer (z.B. die technische Ausstattung und Affinität der Teilnehmer) angemessen zu berücksichtigen.

Ist für die Abhaltung einer virtuellen Versammlung eine gesellschaftsvertragliche Grundlage erforderlich?

Eine Gesellschafterversammlung kann auf Basis der Bestimmungen des VirtGesG nur dann auf virtuellem Weg durchgeführt werden, wenn diese Möglichkeit im Gesellschaftsvertrag (bzw. der Satzung oder den Statuten) ausdrücklich vorgesehen ist.

Mit anderen Worten: Ohne entsprechende gesellschaftsvertragliche Vorkehrung, kann nach den Bestimmungen des VirtGesG keine virtuelle Versammlung abgehalten werden!

Sofern der Gesellschaftsvertrag die Möglichkeit virtueller Versammlungen vorsieht, kann er auch nähere Vorgaben zur organisatorischen und technischen Abwicklung treffen. Schweigt der Gesellschaftsvertrag dazu, hat der Einberufende die organisatorischen und technischen Erfordernisse festzulegen.

Wie hat die Einberufung einer virtuellen Gesellschafterversammlung zu erfolgen?

Bei der Einberufung einer virtuellen Gesellschafterversammlung sind grundsätzlich dieselben Form-, Inhalts- und Fristerfordernisse zu beachten, die auch für die Einberufung einer in Präsenz abgehaltenen Versammlung gelten. Einige Besonderheiten sind bei einer virtuellen Abhaltung aber dennoch zu berücksichtigen. So ist in der Einberufung insbesondere anzuführen, welche organisatorischen und technischen Voraussetzungen für die Teilnahme bestehen (und somit z. B. darauf hinzuweisen, wie sich ein Teilnehmer in die Videokonferenz einwählen kann).

Welche Sonderbestimmungen sind für börsenotierte Aktiengesellschaften vorgesehen?

Für die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung einer börsenotierten Aktiengesellschaft sieht das VirtGesG einige besondere Regelungen vor. Besonders bedeutsam sind die folgenden:

  • Die Aktiengesellschaft hat ihren Aktionären einen elektronischen Kommunikationsweg zur Verfügung zu stellen, über den die Aktionäre vom Zeitpunkt der Einberufung bis zum dritten Werktag (oder einem festzusetzenden späteren Zeitpunkt) vor Beginn der Versammlung Fragen und Beschlussanträge übermitteln können. Die Einberufung hat hierzu entsprechende Informationen zu enthalten.

Die auf diesem Weg gestellten Fragen und Beschlussanträge sind in der Hauptversammlung zu verlesen oder den Teilnehmern auf andere geeignete Weise (etwa über die Internetseite der Gesellschaft) zur Kenntnis zu bringen. Ungeachtet dessen können sich die Aktionäre aber natürlich auch direkt in der Hauptversammlung zu Wort melden.

  • Die Gesellschaft hat den Aktionären auf ihre Kosten zumindest zwei besondere Stimmrechtsvertreter zur Verfügung zu stellen. Bei den besonderen Stimmrechtsvertretern handelt es sich um Personen, die von den Aktionären zur Stellung von Beschlussanträgen, zur Stimmabgabe und gegebenenfalls zur Erhebung eines Widerspruchs bevollmächtigt werden können. Die Einberufung hat entsprechende Informationen zu den besonderen Stimmrechtsvertretern zu enthalten.
  • In der Satzung kann vorgesehen werden, dass die Aktionäre ihre Stimmen auf elektronischem Weg schon vor der Hauptversammlung abgeben können. Alternativ dazu kann die Satzung den Vorstand ermächtigen, eine derartige Vorweg-Stimmabgabe zu ermöglichen.

Macht ein Aktionär von dieser Möglichkeit Gebrauch, kann er seine Stimmabgabe bis zur Abstimmung in der Hauptversammlung widerrufen oder abändern.

  • Aktionäre, die am Grundkapital mit zumindest 5% beteiligt sind, können bis zum Ende eines Geschäftsjahres verlangen, dass die nächste ordentliche Hauptversammlung in einer Form abgehalten wird, welche die physische Teilnahme der Aktionäre ermöglicht. Dieses Recht besteht jedoch nur dann, wenn die letzte ordentliche Hauptversammlung virtuell durchgeführt worden ist.
  • Jene Satzungsbestimmung, welche die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung ermöglicht, muss auf längstens fünf volle Geschäftsjahre befristet sein.

Wann ist das VirtGesG in Kraft getreten?

Das VirtGesG ist am 14.07.2023 in Kraft getreten.

Zusammenfassung

Mit dem VirtGesG wird eine dauerhafte Grundlage für die virtuelle Abhaltung von Gesellschafterversammlungen geschaffen.

Ist die Abhaltung von virtuellen Gesellschafterversammlungen gewünscht, besteht für bereits existierende Gesellschaften (im Regelfall) Handlungsbedarf: Denn ohne gesellschaftsvertragliche Grundlage kann eine virtuelle Versammlung im Sinne des VirtGesG nicht abgehalten werden. In vielen Fällen wird daher eine Änderung des Gesellschaftsvertrages erforderlich sein.

Bei Neugründungen können entsprechende Regelungen natürlich bereits im Gründungszeitpunkt vorgesehen werden. In jedem Fall ist zu beachten, dass es bei den gesellschaftsvertraglichen Regelungen eine Vielzahl von Ausgestaltungsmöglichkeiten gibt.



Autor: Clemens Harsch
Autor: Bernhard Gonaus