Verfassungsgerichtshof kippt alleiniges Obsorgerecht der Mutter bei unehelichen Kindern

Was der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bereits vor eineinhalb Jahren festgestellt hat, wurde nunmehr vom österreichischen Verfassungsgerichtshof bestätigt: „Österreich benachteiligt Väter von unehelichen Kindern gegenüber Müttern und zugleich auch gegenüber verheirateten Vätern.“
Infolge dessen hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis G114/11 vom 28.06.2012 die Bestimmung des § 166 ABGB „Mit der Obsorge für das uneheliche Kind ist die Mutter allein betraut. [...]“ auf.

Anlassfall war ein Pflegschaftsverfahren betreffend ein 2006 geborenes Kind, dessen Eltern in einer Lebensgemeinschaft lebten. Nach der Trennung beantragte der Vater die Übertragung der Obsorge, die aufgrund der bislang bestehenden gesetzlichen Regelung der Mutter zukam. Der Vater begründete dies damit, dass das Kindeswohl gefährdet sei, zumal sich die Mutter seit der Geburt nicht um das Kind gekümmert habe. Das Erstgericht wies den Antrag ab, da laut Sachverständigengutachten der Verbleib des Sorgerechts bei der Mutter keine Gefährdung des Kindeswohles darstelle.

Der Vater bekämpfte das erstgerichtliche Urteil unter Hinweis auf das Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Fall Sporer, EGMR vom 3.2.2011, 35637/03). Demnach würden zahlreiche Gründe für eine gemeinsame Obsorge sprechen. Auch nicht verehelichte Väter würden volle elterliche Verantwortung übernehmen und sich ebenso in der Erziehung ihrer Kinder engagieren wollen. Allerdings sei der nicht mit der Obsorge betraute Kindesvater nach geltender Rechtslage lediglich auf sein Recht gemäß § 148 ABGB (Besuchsrecht) beschränkt. Entsprechend der bislang geltenden Rechtslage kann das Gericht der Mutter die Obsorge aber nur bei Gefährdung des Kindeswohls entziehen. Damit wäre die generelle Zuweisung der Obsorge für ein uneheliches Kind an die Mutter (§ 166 ABGB) dem unehelichen Vater gegenüber und zugleich auch gegenüber anderen verheirateten Vätern benachteiligend.

Hintergrund: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Fall Sporer) ist der Begriff des Familienlebens iSd Art 8 MRK nicht auf Beziehungen beschränkt, die sich auf eine Ehe gründen, sondern kann auch andere Familienbande umfassen, z. B. wenn Personen außerhalb einer Ehe zusammenleben. Das aus einer solchen Beziehung stammende Kind ist von seiner Geburt an Teil dieser Familie; das Familienleben zwischen dem Kind und seinen Eltern bleibt aufrecht, wenn die Eltern nicht mehr zusammenleben oder ihre Beziehung zueinander beenden.“ Dies bedeutet, dass die zwischen einem Vater eines unehelichen Kindes und diesem Kind entstandene Beziehung jedenfalls vom Schutzbereich des Art. 8 EMRK umfasst ist.

Zwar befand der Europäische Gerichtshof, dass angesichts der unterschiedlichen Lebensverhältnisse von Kindern, die nichtehelich geboren seien und für die keine gemeinsame Obsorge abgegeben worden sei, es zum Schutz des Kindeswohls gerechtfertigt sei, die elterliche Obsorge anfänglich nur der Mutter einzuräumen, um sicherzustellen, dass von Geburt des Kindes an eine Person für dieses rechtsverbindlich handeln könne. Auch der VfGH erachtet die Bestimmung des § 166 ABGB für sich allein noch nicht für beanstandenswert, zumal sie eine prinzipielle gesetzliche Vertretung des Kindes ab der Geburt gewährleistet. Bedenklich erschien dem Europäischen Gerichtshof, dass das österreichische Recht keine gerichtliche Prüfung der Frage vorsehe, ob das gemeinsame Sorgerecht im Kindeswohl läge und wenn nicht, ob diesem besser mit der Zuweisung des alleinigen Sorgerechts an die Mutter oder an den Vater gedient wäre. Die österreichische Rechtslage führe zu einer Ungleichbehandlung eines Vaters eines unehelichen Kindes im Vergleich zur Mutter bzw. zu Vätern ehelicher Kinder. Dem Gericht war es auf Grundlage des Gesetzes nicht möglich mangels Zustimmung der Mutter zu prüfen, ob die gemeinsame Obsorge dem Kindeswohl diene.

Derzeit fehlt es aber an einer gesetzlichen Regelung, die dem Vater die Möglichkeit gibt, die Obsorge – unter maßgeblicher Beachtung des Kindeswohls – nicht nur in Fällen der Zustimmung der Mutter, sondern auch in Fällen zu erlangen, in denen dies im Interesse des Kindeswohls liegen würde. Entsprechend dem Entscheid des VfGH besteht keine sachliche und vernünftige Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung des Vaters eines unehelichen Kindes, und zwar sowohl gegenüber der Mutter dieses Kindes als auch gegenüber allen Vätern ehelicher Kinder vor. § 166 erster Satz ABGB verstößt daher einerseits gegen das Verbot der geschlechtlichen Diskriminierung (Art. 14 EMRK), und andererseits gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK).
Der Gesetzgeber hat nun bis Ende Jänner 2013 die Möglichkeit eine Neuregelung zu fassen, die mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Einklang steht.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass diese Entscheidung des VfGH den Vätern von unehelichen Kindern den Weg ebnet auch gegen den Willen der Mutter die gemeinsame bzw. die alleinige Obsorge für das Kind zu beantragen.

Autor: Mag. Christoph Luegmair (Linz)