Deutschland: Neues Erbrecht in Europa – Die neue Europäische Erbrechtsverordnung

Am 4. Juli 2012 hat der Rat der Europäischen Union die Verordnung über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (VO EU Nr. 650/2012) gebilligt und damit dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit in der Nachlassplanung Rechnung getragen.

Hintergrund
Nach der derzeit geltenden Rechtslage in der EU hängen die Rechtsfolgen eines Erbfalls im Wesentlichen davon ab, welche Gerichte innerhalb der EU sich mit dem Fall befassen. Während in 15 Mitgliedsstaaten die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach dem Recht des Staates beurteilt wird, dem der Verstorbene angehörte, stellen 11 Staaten auf das Recht des letzten Wohnsitz- oder Aufenthaltsorts des Verstorbenen ab. Die Niederlande verfolgt ein Mischsystem aus beiden. Darüber hinaus wenden einige Mitgliedsstaaten für das unbewegliche Vermögen des Verstorbenen – je nach Lageort – ein anderes Erbrecht an als für das bewegliche Vermögen.

Schließlich treffen Erben immer wieder auf Schwierigkeiten, wenn sie ihre Rechtsstellung im Ausland nachweisen müssen, da es keinen internationalen Erbschein gibt. Angesichts von jährlich ca. 450.000 internationalen Erbfällen in der EU liegt der Bedarf an einer Vereinheitlichung auf der Hand.

Regelungen der Verordnung
Eine einheitliche Rechtsanwendung in der EU wird zukünftig durch die Erbrechtsverordnung (ErbRVO) sichergestellt.

Anwendungsbereich
Die ErbRVO gilt für die Rechtsnachfolge von Personen, die nach dem 16. August 2015 versterben. Sie betrifft nur Fragen der Rechtsnachfolge von Todes wegen, also insbesondere die Rechte der Erben, Vermächtnisnehmer und Testamentsvollstrecker, die Annahme und Ausschlagung der Erbschaft, die Teilung des Nachlasses und das Pflichtteilsrecht. Nicht erfasst werden die vorweggenommene Erbfolge und Fragen des Steuer- und Gesellschaftsrechts. Die ErbRVO gilt in allen EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark, Großbritannien und Irland.

Anzuwendendes Recht
Wer nach dem 16. August 2015 in der EU verstirbt, wird nach dem Recht des Staates beerbt, in dem er seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist nicht definiert und muss anhand der konkreten Lebensumstände des Verstorbenen beurteilt werden. Kriterien sind neben der Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts, die Gründe und Umstände für den Aufenthalt, der familiäre und soziale Lebensmittelpunkt, die Staatsangehörigkeit und die Belegenheit von Vermögensgegenständen des Verstorbenen. Die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts kann sich insbesondere bei Wanderarbeitnehmern, Personen mit wechselnden Aufenthaltsorten oder mehreren Wohnsitzen sowie bei Grenzgängern als schwierig erweisen.

Rechtswahl
Diese Schwierigkeiten lassen sich durch eine Rechtswahl umgehen, die auch schon vor dem 17. August 2015 zulässig ist. Die Rechtswahl muss in einer Verfügung von Todes wegen (Testament oder Erbvertrag) getroffen werden. Wählbar ist das Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit man besitzt.

Beispiel:
Bestimmt beispielsweise ein Deutscher in seinem Testament, dass für seine „Rechtsnachfolge von Todes wegen“ das deutsche Recht angewendet werden soll, so wird er auch dann nach dem deutschen Recht beerbt, wenn sein gewöhnlicher Aufenthalt im Zeitpunkt seines Todes in Spanien lag. Von dem Recht, das auf die „Rechtsnachfolge von Todes wegen“ anzuwenden ist, ist das Recht zu unterscheiden, das für die „Zulässigkeit“ einer Verfügung von Todes wegen gilt. Die Zulässigkeit einer Verfügung von Todes wegen wird nach dem Recht des Staates beurteilt, in dem der Verstorbene im Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Mit dieser Regelung wird sichergestellt, dass ein Testament nicht durch den Umzug des Testierenden unwirksam wird.

Beispiel:
Verfasst beispielsweise ein in Deutschland lebendes deutsches Ehepaar ein gemeinschaftliches Testament und verlegt dann seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach Spanien, wird es nach spanischem Recht beerbt. Nach spanischem Recht sind gemeinschaftliche Testamente unzulässig. Dennoch ist das gemeinschaftliche Testament wirksam, weil der gewöhnliche Aufenthalt der Eheleute im Zeitpunkt der Testamentserrichtung Deutschland war und gemeinschaftliche Testamente in Deutschland zulässig sind. Etwaige Schwierigkeiten in Bezug auf die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts im Zeitpunkt der Testamentserrichtung lassen sich wiederum durch eine Rechtswahl zugunsten des Heimatrechts umgehen.

So könnte das im o.g. Beispiel beschriebene Ehepaar in dem gemeinschaftlichen Testament bestimmen, dass für die „Zulässigkeit, die materielle Wirksamkeit und die Bindungswirkungen“ ihres Testament das deutsche Recht gelten soll.

Altfälle
Für alte Verfügungen von Todes wegen gewährt die ErbRVO Bestandsschutz. Hatte der Verstorbene vor dem 17. August 2015 eine Verfügung von Todes wegen auf der Grundlage seines Heimatrechts errichtet, so gilt dieses Recht als das von ihm gewählte Recht, auch wenn es an einer ausdrücklichen Rechtswahl fehlt.

Beispiel:
Verfasst ein Deutscher vor dem 17. August 2015 ein Testament nach den Vorschriften des deutschen Rechts und verstirbt er nach diesem Stichtag, wird er nach deutschem Recht beerbt, auch wenn sein letzter gewöhnlicher Aufenthalt in Spanien lag.

Zuständiges Gericht
Zuständig für alle Entscheidungen in Erbsachen sind die Gerichte des Staates, in dem der Verstorbene seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Diese Gerichte entscheiden über das gesamte hinterlassenen Vermögen, unabhängig davon, in welchem Land es sich befindet. Die Entscheidungen werden in den übrigen Mitgliedstaaten anerkannt.

Beispiel:
Verstirbt ein Deutscher mit letztem gewöhnlichem Aufenthalt in Spanien und hat er eine Rechtswahl zugunsten des deutschen Rechts getroffen, so muss ein spanisches Gericht eine etwaige Streitigkeit über Pflichtteilsansprüche nach deutschem Recht entscheiden.

Das könnte dem Gericht schwer fallen, kennt das spanische Recht doch nur das sog. Notarerbrecht, das sich vom Pflichtteilsrecht ganz maßgeblich unterscheidet. Um eine einheitliche Rechtsanwendung sicherzustellen, könnte das spanische Gericht daher den Rechtsstreit - auf Antrag einer Partei - an ein deutsches Gericht verweisen. Die Entscheidung des deutschen Gerichts wird in allen Mitgliedstaaten anerkannt.

Europäisches Nachlasszeugnis
Zur Erleichterung der grenzüberschreitenden Nachlassabwicklung führt die ErbRVO ein in allen Mitgliedstaaten gültiges „europäisches Nachlasszeugnis“ ein. Es dient als Nachweis über die Rechtsstellung der Erben und Vermächtnisnehmer und die Befugnisse eines Testamentsvollstreckers.

Das europäische Nachlasszeugnis löst einen Gutglaubensschutz aus. Es ist damit ein taugliches Dokument zur Vorlage zwecks Eintragungen in öffentliche Register (Grundbuchamt, Handelsregister).

Erteilt wird das europäische Nachlasszeugnis nur bei Todesfällen mit internationalem Bezug. Ist das europäische Nachlasszeugnis erstellt, gilt es allerdings auch im Inland und ersetzt dann die innerstaatlichen Erbnachweise wie z. B. den deutschen Erbschein.

Fazit
Die ErbRVO wird sowohl die Nachlassplanung als auch die Abwicklung internationaler Erbfälle innerhalb der EU vereinfachen. Auch wenn die ErbRVO erst für Erbfälle nach dem 16. August 2015 Anwendung findet, sollte sie bei der Nachlassplanung bereits heute berücksichtigt werden.

Konkreter Rat für die Praxis:

  • Verfassen Sie ein Testament oder einen Erbvertrag, denn nur wer letztwillig verfügt, kann auch eine Rechtswahl treffen.
  • Bestimmen Sie, welches Recht für die „Rechtsnachfolge von Todes wegen“ gelten soll.
  • Legen Sie fest, welches Recht für die „Zulässigkeit, die materielle Wirksamkeit und die Bindungswirkungen“ gelten soll.
  • Lassen Sie eine vorhandene Verfügung von Todes wegen bei einem Umzug ins Ausland überprüfen.
  • Lassen Sie eine vorhandene Verfügung von Todes wegen überprüfen, wenn Ihr „gewöhnlicher Aufenthalt“ außerhalb Ihres Heimatstaates liegt.

Autoren:
Siegrid Lustig (Hannover)
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht und Notar Dr. Axel Berninger (Hannover)