Kinder haben das Recht auf Doppelresidenz – Verfassungsgerichtshof entscheidet für die Betreuung zu gleichen Teilen durch die Kindeseltern

Einleitung und bisherige Rechtslage
Aufgrund einer Gesetzesänderung im Jahr 2013 durch das KindNamRÄG (Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013) soll die Obsorge beider Elternteile der Regelfall sein, wenn eine normale familiäre Situation zwischen den Eltern und auch zwischen den Eltern und dem Kind besteht (vgl. § 179ff ABGB; OGH 8 Ob 40/15p). Wenn Elternteile gemeinsam obsorgeberechtigt sind und nicht (mehr) in häuslicher Gemeinschaft leben, war es aber bis dato erforderlich, dass die Kindeseltern festlegen, bei welchem der beiden Elternteile sich das Kind hinkünftig hauptsächlich aufhalten soll.

Kritik
Diese verpflichtende Festlegung des hauptsächlichen Betreuungsaufenthaltes hatte zur Folge, dass gleiche Betreuungszeiten der Kindeseltern von den Gerichten meist abgelehnt wurden. Dies selbst dann wenn die Kindeseltern einer solchen Regelung offen gegenüber standen, das gleichteilige Betreuungsmodell dem Kindeswohl entsprach und faktisch aufgrund der Berufstätigkeit der Kindeseltern auch möglich war. Die zwingende Festlegung auf einen hauptsächlichen Aufenthaltsort wurde daher seit Jahren kritisiert, da es durchaus eine Vielzahl an praktischen Fälle gibt, in denen eine gleichteile Betreuung in zwei Haushalten durch die Kindeseltern stattfinden kann (so genannte „Doppelresidenz“) und dieses Modell daher wünschenswert gewesen wäre.

Änderung durch neue Rechtslage
Der Verfassungsgerichtshof hat nunmehr entschieden, dass Gerichte die anzuwendenden Gesetzesbestimmungen im Hinblick auf den Schutz des Familienlebens (Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK]) verfassungskonform zu interpretieren haben und demnach eine „Doppelresidenz“ möglich ist, wenn eine elterliche Vereinbarung oder eine gerichtliche Festlegung vorliegt und diese Regelung dem Kindeswohl am besten entspricht (vgl. G 152/2015). Eine Änderung des Gesetzeswortlautes ist aus der Sicht des VfGH nicht notwendig. Im Sinne dieser Rechtsprechung ist es daher möglich, dass ein Kind abwechselnd eine ganze Woche bei der Mutter und anschließend beim Vater verbringt und auch in den Ferien jeweils im gleichen zeitlichen Umfang betreut wird. Ein Hauptwohnsitz im Sinne des Meldegesetzes – als „Verwaltungssitz“ – muss dennoch festgelegt werden. Auch für die Auszahlung der Familienbeihilfe ist der Hauptwohnsitz (noch) von Relevanz.

Fazit
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung der Bezirksgerichte in Bezug auf das Doppelresidenzmodell entwickelt. Voraussetzung für das Kindesbetreuungsmodell 50:50 werden aber vor allem sein, dass (i) das es für das Kind möglich ist von beiden Wohnsitzen aus, den Kindergarten oder die Schule zu erreichen, (ii) die beiden Kindeseltern organisatorisch in der Lage sind, das Kind unter der Woche zu versorgen, und (iii) eine gute Kommunikationsbasis zwischen den Kindeseltern besteht.

Die Möglichkeit einer gleichteiligen Betreuung wirft zudem die Fragen auf, wie bzw. in welcher Höhe Unterhaltszahlungen zu leisten sind und/oder ob die Eltern auch je zur Hälfte die Familienbeihilfe beziehen können. Hinsichtlich des Kindesunterhalts hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass bei Vorliegen von gleichwertigen Betreuungs- und Naturalunterhaltsleistungen kein Geldunterhaltsanspruch besteht, wenn das Einkommen der Eltern jeweils etwa gleich hoch ist (vgl. OGH 4 Ob 74/10a, 4 Ob 16/13a, 6 Ob 11/13f). Anderenfalls bleibt der besser verdienende Elternteil mit einem Restbetrag geldunterhaltspflichtig (vgl. OGH 6 Ob 11/13f; 1 Ob 58/15i).

SCWP Schindhelm berät Sie gerne zum Thema „Doppelresidenz“, die diesbezüglichen Voraussetzungen und die damit zusammenhängenden (neuen) Rechtsfragen, wie insbesondere Unterhalt und Familienbeihilfenbezug.

Autoren: Birgit Leb & Stefanie Thuiner