Italien: Der Jobs Act: Kann der Spagat aus Flexibilisierung und Schutz der Arbeitnehmerinteressen gelingen?

Hintergrund
Das italienische Arbeitsrecht sieht traditionell einen als sehr starr empfunden Arbeitnehmerschutz sowohl bei Entlassungen als auch bei der Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse im Einzelnen vor. Dies hat in der Vergangenheit zu einer Vielzahl von „Umgehungsmaßnahmen“ in Form von atypischen Arbeitsverhältnissen mit einer Ausweitung sog. prekärer Arbeitsverhältnisse und mithin in der Realität der Arbeitswelt zu einer Umkehrung der eigentlichen gesetzgeberischen Absichten geführt.

Mit dem sog. „Jobs Act“ hat sich die italienische Regierung die umfassende Modernisierung des Arbeitsrechts zum Ziel gesetzt. Das ehrgeizige Ziel ist, gleichzeitig den Interessen der Arbeitgeber an einer größeren Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse und den Interessen der Arbeitnehmer an einer größeren Stabilität der Arbeitsverhältnisse nachzukommen.

Der Jobs Act
Das Reformgesetz Nr. 183/2014, der „Jobs Act“, ist nach langer parlamentarischer und außerparlamentarischer Diskussion als sog. „Ermächtigungsgesetz“ („legge delega“) am 01.03.2015 in Kraft getreten. Darin wurden die Reformthemen festgelegt und der Regierung die Ermächtigung erteilt, die entsprechenden Verordnungen zur inhaltlichen Umsetzung der Reformthemen zu erlassen.

Inhaltlich enthält der Jobs Act dabei u.a. Verordnungsermächtigungen zu folgenden Themen:

  • Reform des Arbeitsvertrages unter Abschaffung des sog. Projektvertrages
  • Neuregelung der befristeten Arbeitsverhältnisse
  • Einführung eines neuen Arbeitslosengeldes und Reform des Kurzarbeitergeldes mit Einführung von Straf- und Anreizmechanismen, um eine möglichst rasche (Wieder-) Eingliederung des Arbeitnehmers in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen und zu fördern
  • Einführung neuer Verwaltungsverfahren
  • Neuregelung des Kündigungsschutzes.

Erste Umsetzungsregelungen wurden bereits mit den Verordnungen 22/15 und 23/15 erlassen, welche beide am 07.03.2015 in Kraft getreten sind und auf ab diesem Datum geschlossene Arbeitsverhältnisse anwendbar sind.

Besondere Beachtung verdient dabei die Verordnung Nr. 23/15 zur Neuregelung des Kündigungsschutzes. Hintergrund der gesetzgeberischen Neuerungen ist die langjährige Debatte, ob das bislang grundsätzlich bestehende Recht auf Wiedereingliederung in den Arbeitsplatz bei unrechtmäßiger Kündigung noch als sachgemäß anzusehen ist.

Das italienische Arbeitsrecht unterscheidet zwischen folgenden Entlassungsgründen mit jeweils unterschiedlichen Sanktionen: (i) Kündigungen aus subjektiven Gründen bzw. aus wichtigem Grund wegen Verletzung des Arbeitsvertrages (nach deutscher Terminologie vergleichbar mit verhaltens- oder auch personenbedingten Kündigungen) und (ii) Kündigungen aus objektiven Gründen (nach deutscher Terminologie vergleichbar mit betriebsbedingten Kündigungen).

Im Zuge der Reform wird das Recht auf Wiedereingliederung bei der Kündigung unbefristeter Arbeitsverhältnisse weitgehend abgeschafft, wobei eine etwaige Wiedereingliederung nunmehr nur noch unter eng umrissenen Umständen die Ausnahme und nicht mehr den Regelfall darstellen soll.

Stattdessen erfolgt der Schutz des Arbeitnehmers vor unrechtmäßigen Kündigungen nunmehr grundsätzlich über einen finanziellen Ausgleich, dessen Höhe entsprechend der bisherigen Dauer des Arbeitsverhältnisses anwächst (angesichts dessen wird die Neuregelung auch als „unbefristeter Vertrag mit anwachsendem Schutzniveau“ bezeichnet).

Bei Kündigungen aus subjektiven Gründen kommt es nach der Reform nur noch dann zu einer Wiedereingliederung, wenn festgestellt wird, dass der beanstandete Umstand tatsächlich nicht vorlag. Dabei bleibt abzuwarten, welche Anforderungen die Arbeitsgerichte tatsächlich an die „Feststellung des Nichtbestehens“ des Kündigungsgrundes stellen werden, d.h. ob die Wiedereingliederung tatsächlich als gesetzlich normierter Ausnahmefall oder in der Praxis dann doch wieder eher als der Regelfalls angesehen wird.

Bei Kündigungen aus objektiven Gründen kommt es hingegen von Gesetzes wegen nicht mehr zu einer Wiedereingliederung. Auch bei einer unrechtmäßigen Kündigung wird lediglich eine Entschädigung in Geld zugesprochen. Der Arbeitgeber hätte es mithin selbst in der Hand zu entscheiden, ob das Arbeitsverhältnis beendet wird oder nicht. Auch hier bleibt jedoch abzuwarten, ob die bloße Behauptung des Arbeitgebers ausreicht, dass es sich um eine (wenngleich ungerechtfertigte) betriebsbedingte Kündigung handeln sollte, oder ob hierzu weitere objektive Anknüpfungspunkte erforderlich sind, um das „Privileg“ der freien Kündbarkeit ausnutzen zu können.

In beiden Fällen steht dem Arbeitnehmer bei einer unrechtmäßigen Kündigung eine Entschädigung i.H.v. zwei Monatsgehältern für jedes Jahr der Dauer des Arbeitsverhältnisses zu. Soweit es hingegen tatsächlich zu einer Wiedereingliederung kommt, steht dem Arbeitnehmer eine Entschädigung für den Zeitraum zwischen dem Datum der Entlassung und dem Datum der Wiedereingliederung zum Ausgleich des entgangenen Verdienstes zu, welche jedoch in jedem Fall auf 12 Monatsgehälter begrenzt ist.

Schutz der Arbeitnehmerinteressen
Dem entgegenstehenden Interesse der Arbeitnehmer an einer größeren Stabilität des Arbeitsverhältnisses wird dadurch Rechnung getragen, dass sowohl im Rahmen des Jobs Act als auch des sog. „Stabilitätsgesetzes“ 2015 (legge stabilità) Anreize und Rahmenbedingungen geschaffen werden, um das „normale“ unbefristete Anstellungsverhältnis wieder zur Normalität werden zu lassen. Hierzu sieht zum einen die bereits zitierte Ausführungsverordnung 23/15 die dort vorgesehenen Erleichterungen beim Kündigungsschutz nur dann vor, wenn es sich um einen regulären unbefristeten Arbeitsvertrag (gegebenenfalls auch unter Umwandlung eines zunächst befristeten Arbeitsvertrages) handelt. Zum anderen werden diese rechtlichen Maßnahmen durch Kosten senkende fiskalische Aspekte begleitet. Das Stabilitätsgesetz 2015 sieht vor, dass bei Neueinstellungen im Jahr 2015 mit unbefristeten Arbeitsverträgen der Arbeitgeber für einen Zeitraum von höchstens 3 Jahren lediglich reduzierte Sozialversicherungsbeiträge mit einer Ersparnis von bis zu EUR 8.060,00 pro Jahr abzuführen hat.

Fazit
Die gesetzgeberische Intention ist eindeutig: Es sollen die Einstellungshürden deutlich gesenkt werden und so ein Impuls für den wirtschaftlichen Aufschwung gegeben werden. Gleichzeitig soll der vermehrte Abschluss unbefristeter Arbeitsverträge das Verbrauchervertrauen steigern und so zu einer vermehrten Kaufnachfrage anregen. Ob der Jobs Act die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen kann, muss sich noch in der Praxis beweisen. Auf dem Papier scheint es sich jedoch um einen großen Schritt in Richtung einer längst überfälligen Modernisierung des italienischen Arbeitsrechts zu handeln.

Autorin: Anna Pozzato (Bologna)