Deutschland: Der Geschäftsführer in der ausländischen Tochtergesellschaft - kämpfen statt fliehen!

Geschäftsführer verpflichten sich häufig in ihren Anstellungsverträgen, Organfunktionen in ausländischen Tochtergesellschaften zu übernehmen. Für junge Führungskräfte ist dies nicht selten ein wichtiger Karriereschritt. Ein solcher Auslandseinsatz kann aber schnell zum Himmelfahrtskommando werden, wie ein vom Bundesgerichtshof entschiedener Fall (Beschluss vom 8. November 2012, IX ZB 120/11) in erschreckender Weise zeigt:

Sachverhalt
Betroffen war ein leitender Mitarbeiter eines deutschen Lebensmittelunternehmens, das in Polen eine Tochtergesellschaft in der Rechtsform der GmbH (s.p.z.oo.) unterhielt. Der deutsche Manager war dort Geschäftsführer. Die polnische Tochter fiel in Insolvenz und hinterließ bei der örtlichen polnischen Kommune, der Stadt Prusice (Paußnitz) Grundsteuerschulden in Höhe von 1,28 Mio. EUR inklusive Zinsen. Die Stadt hielt den Geschäftsführer unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzverschleppung für verantwortlich und erwirkte mit dieser Begründung ein Versäumnisurteil des Bezirksgerichts Wroclaw (Breslau) in gleicher Höhe. Die Stadt Paußnitz beantragte nun beim Landgericht Ellwangen, dem Wohnsitz des Geschäftsführers, dieses Urteil nach Maßgabe der Verordnung des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) für vollstreckbar zu erklären. Das Landgericht Ellwangen gab diesem Antrag in nur 11 Monaten nach Erlass des polnischen Versäumnisurteils statt. Die hiergegen gerichteten Beschwerden des Geschäftsführers zum OLG Stuttgart und letztlich zum Bundesgerichtshof blieben allesamt erfolglos. Die Stadt Paußnitz kann nun mit dem für vollstreckbar erklärten Urteil gegen den Geschäftsführer in Millionenhöhe vollstrecken, was im schlimmsten Fall die persönliche Insolvenz dieser Führungskraft nach sich ziehen kann.

Urteilsgründe
Wie konnte es hierzu kommen? Der Geschäftsführer hatte nämlich in den deutschen Instanzen eine Breitseite von Argumenten gegen die Vollstreckbarerklärung vorgebracht:

  • Das Urteil dürfe nicht nach den Regeln der EuGVVO für vollstreckbar erklärt werden, da diese zur Zivil- und Handelssachen betreffe, es sich hier vorliegend aber um eine Steuersache bzw. eine Insolvenzsache handelt;
  • außerdem seien weder die Klage noch das Urteil des polnischen Gerichts ordnungsgemäß zugestellt worden;
  • inhaltlich bestehe der Klageanspruch auch gar nicht. Insolvenzgründe hätten nicht bestanden. Die geltend gemachten Grundsteuern seien völlig übersetzt und stünden auch im Widerspruch zu anderen Bescheiden der Stadt;
  • und schließlich habe die polnische Tochtergesellschaft mit Ansprüchen aus der Trink- und Abwasserversorgung sowie mit Umsatzsteuererstattungsansprüchen aufrechnen können.

All dies nützte ihm jedoch nichts. Das stärkste Argument - es handele sich um eine Steuer- bzw. Insolvenzsache - verfing deshalb nicht, weil sich der Anspruch der Gemeinde auf eine Vorschrift des polnischen Handelsgesetzbuches stützte, wonach bei Insolvenzverschleppung der Geschäftsführer persönlich haftet. Dies genüge als Anknüpfungspunkt für einen zivilrechtlichen Anspruch. Dass dieser Anspruch wie hier unbestreitbar auch steuer- und insolvenzrechtliche Komponenten hat, schadete nach Auffassung des OLG nicht, was der BGH unbeanstandet ließ.

Die übrigen Einwände hätte der Geschäftsführer im polnischen Zivilverfahren geltend machen können und müssen, insbesondere mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung, falls Klage oder Urteil nicht ordentlich zugestellt sein sollten. Die hierfür bestehende Frist des polnischen Rechts - nur eine Woche - habe der Geschäftsführer schuldhaft verstreichen lassen.

Fazit
Der Fall zeigt überdeutlich, dass bei Problemen in der ausländischen Tochtergesellschaft die „Flucht nach Hause“ die falsche Strategie ist. Europa ist, auch was die wechselseitige Anerkennung von Urteilen angeht, soweit zusammengewachsen, dass die Anerkennung eines ausländischen Urteils durch ein deutsches Gericht wie hier geschehen in durchaus kurzer Zeit zu erwarten ist. Allen Geschäftsführern und ihren Unternehmen, die bei Gerichten der EU-ausländischen Tochtergesellschaften verklagt werden, ist also dringend zu raten, dort den juristischen Kampf aufzunehmen, alle Rechtsmittel auszuschöpfen und an Ort und Stelle kompetente anwaltliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Auf Hilfe der heimischen Gerichte ist nicht zu hoffen. Es sollte auch geprüft werden, ob die hoffentlich bestehende D&O-Versicherung Risiken von Organstellungen im Ausland abdeckt.

Autor: Heiko Hellwege (Bukarest, Osnabrück, Shanghai)