Der Zeitpunkt einer Schenkung will wohl überlegt sein.

Die Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen im Pflichtteilsrecht

Der gesetzliche Pflichtteil hat grundsätzlich den Zweck den Nachkommen sowie dem Ehegatten oder eingetragenen Partner des Verstorbenen einen gewissen Mindestanteil am Nachlassvermögen zukommen zu lassen. Der Pflichtteilsanspruch ist dabei zwingend, kann nur unter bestimmten Voraussetzungen geschmälert werden bzw. in Ausnahmefällen gänzlich entfallen und beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Damit der Erblasser den seinen gesetzlichen Erben grundsätzlich zustehenden Pflichtteilsanspruch nicht ganz einfach dadurch schmälern kann, dass er noch vor seinem Ableben sämtliche Vermögenswerte verschenkt und dadurch das gesetzliche Erbrecht umgehen kann, hat der Gesetzgeber die Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen entwickelt.

Grundsätzlich geht es bei der Hinzu- und Anrechnung darum, dass Schenkungen, die der Erblasser an einzelne Personen geleistet hat, auf Verlangen eines Pflichtteilsberechtigten für die Ermittlung des Pflichtteils berücksichtigt werden. Dies erfolgt in der Form, dass der Vermögenswert der Schenkungen zur Verlassenschaft rechnerisch zunächst hinzugeschlagen und auf Basis der erhöhten Verlassenschaft der Pflichtteilsanspruch berechnet wird. Ein beschenkter Pflichtteilsberechtigter muss sich die Schenkung weiters wie einen Vorschuss auf seinen Pflichtteil anrechnen lassen.

Gem. §§ 781 ff ABGB nF ist bei der Hinzu- und Anrechnung zum Pflichtteil grundsätzlich zwischen Schenkungen des Erblassers an pflichtteilsberechtigte oder nicht pflichtteilsberechtigte Personen zu unterscheiden. Schenkungen an nicht pflichtteilsberechtigte Personen sind bei der Berechnung des Pflichtteils durch Hinzu- und Anrechnung nur dann zu berücksichtigen, wenn sie in einem Zeitraum von zwei Jahren vor dem Ableben des Erblassers erfolgt sind. Schenkungen an pflichtteilsberechtige Personen sind hingegen ohne zeitliche Begrenzung zu beachten.

Wann muss der Geschenknehmer pflichtteilsberechtigt sein?

Fraglich kann allerdings sein, zu welchem Zeitpunkt beim Geschenknehmer die Eigenschaft der Pflichtteilsberechtigung vorliegen muss. In der Entscheidung OGH 2 Ob 195/19v sah sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage konfrontiert, ob bei der Geschenknehmerin die Angehörigeneigenschaft einer Ehegattin (pflichtteilsberechtigte Person) nicht nur im Zeitpunkt der Schenkung, sondern auch im Zeitpunkt des Ablebens des Erblassers vorliegen muss.

Im gegenständlichen Fall hat der verstorbene Erblasser im Jahr 2014 seiner damaligen Ehegattin seinen Hälfteanteil an einer gemeinsamen Liegenschaft, auf der sich auch die gemeinsame Ehewohnung befand, übertragen. Aufgrund der Pflegebedürftigkeit des Erblassers kündigte dessen Ehegattin im Jahr 2014 ihr Arbeitsverhältnis. Mit 2017 stellte der Erblasser seine Unterhaltsleistungen an die Klägerin ein, weshalb die Klägerin beim AMS um Unterstützungsleistungen ansuchte. Aufgrund des hohen Pensionseinkommens des Erblassers wurden diese jedoch nicht gewährt, wobei darauf hingewiesen wurde, dass Leistungen zustehen würden, wenn sie sich scheiden lassen würde. Der Erblasser willigte vor diesem Hintergrund in die einvernehmliche Ehescheidung ein, sodass die Ehe noch im selben Jahr geschieden wurde. An der bisherigen Art des Zusammenlebens änderte sich aber nach der Scheidung nichts.

Nach dem Ableben des Erblassers beliefen sich die Aktiva der Verlassenschaft nicht einmal mehr auf EUR 5.000,00, weshalb der Sohn des Erblassers, als Pflichtteilsberechtigter, die Hinzu- und Anrechnung der 2014 erfolgten Übertragung des Hälfteanteils der Liegenschaft an die Beklagte (Ex-Ehefrau und Stiefmutter) begehrte. Er brachte im Wesentlichen vor, dass die Beklagte im Zeitpunkt der Übertragung des Hälfteanteils, als Ehegattin des Erblassers, pflichtteilsberechtigt gewesen ist, weshalb die Schenkung bei der Pflichtteilsberechnung zu berücksichtigen sei. Außerdem hätten sich der Erblasser sowie die Beklagte nur scheiden lassen, um eine Hinzu- und Anrechnung der Schenkung zu umgehen.

In seiner Entscheidung OGH 2 Ob 195/19v stellt der Oberste Gerichtshof klar, dass es bei der Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen darauf ankommt, dass der Geschenknehmer sowohl im Zeitpunkt der Schenkung als auch im Zeitpunkt des Ablebens des Erblassers pflichtteilsberechtigt sein muss. Nachdem die Beklagte zum Zeitpunkt des Ablebens nicht mehr mit dem Erblasser verheiratet war, war sie auch nicht mehr pflichtteilsberechtigt. Angesichts der Tatsache, dass zwischen der Übertragung der Liegenschaft und dem Ableben des Erblassers bereits über zwei Jahre vergangen sind, war die Schenkung folglich bei der Berechnung des Pflichtteils nicht mehr zu berücksichtigen. Die Klage wurde somit zu Recht abgewiesen.

Zu beachten ist allerdings, dass eine Ehescheidung rein zum Zweck der Umgehung der Bestimmung des § 783 ABGB (zeitlich unbegrenzte Hinzu- und Anrechnung bei Pflichtteilsberechtigten), unter Umständen tatsächlich rechtsmissbräuchlich sein kann.

Fazit:

Nachdem sowohl der Zeitpunkt einer Schenkung als auch der Zeitpunkt der Eheschließung und damit einhergehend der Zeitpunkt des Entstehens der Pflichtteilsberechtigung frei wählbar sind, verbleibt nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes bei der Rechtsberatung ein gewisser Gestaltungsspielraum.

Für erb- und familienrechtliche Beratungen steht Dr. Birgit Leb, MBA gerne zur Verfügung.



Autor: Birgit Leb