Der Häftling und seine „Unterhaltspflicht“ – Kein Kindesunterhalt während der Verbüßung einer Haftstrafe des Kindesvaters

Anlassfall
Der Oberste Gerichtshof beschäftigte sich in einer aktuellen Entscheidung 8 Ob 78/15a mit der Frage, ob ein Kindesvater, der sich in Strafhaft befindet, Unterhalt an seinen Sohn leisten muss. Das besonders Brisante daran: Im konkreten Fall beschäftigten sich die Gerichte mit der Frage, ob der Kindesvater tatsächlich versucht hat, sämtliche Unterhaltsberechtigten zu ermorden, um sich so von seiner Unterhaltspflicht zu befreien (vgl. 8 Ob 78/15a).

Bisherige Judikaturlinie
Bisher gab es noch keine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH), ob das Motiv der Tat – im konkreten Fall die Ermordung der Unterhaltsberechtigten – für die Unterhaltspflicht während der Haft ausschlaggebend ist. Der Oberste Gerichtshof vertrat bislang die Auffassung, dass die Unterhaltspflicht während der Haft ruht, weil dem Unterhaltsschuldner in der Zeit der Haft die Teilnahme am Arbeitsmarkt und die Erzielung eines entsprechenden Einkommens unmöglich ist (vgl. OGH 7 Ob 528/94; 2 Ob 576/94, 6 Ob 91/04g).

Die Rechtsfrage der Unterhaltspflicht während der Haft wurde vom OGH in einem aktuellen Judikat aus dem Jahr 2015 nur anders beurteilt, weil der Unterhaltspflichtige Barvermögen hat. Der OGH geht davon aus, dass ein pflichtbewusster Familienvater, der sich in Strafhaft befindet, seinem Kind während der Haftdauer Unterhalt auch dann gewähren würde, wenn er dafür ein Viertel seines Barvermögens aufwenden müsste (vgl. OGH 3 Ob 65/15b).

Entscheidung des Anlassfalls
Im eingangs geschilderten Sachverhalt waren das Erstgericht und das Gericht zweiter Instanz unterschiedlicher Auffassung. Das Erstgericht schloss sich zunächst der ständigen Rechtsprechung des OGH an und entschied, dass der Unterhaltsanspruch während der Verbüßung der Haftstrafe ruht – der Sohn daher de facto keinen Unterhalt erhält.

Das Gericht zweiter Instanz ging davon aus, dass das Motiv der Tat im konkreten Fall beachtlich sei und berief sich darauf, dass die Rechtsprechung in Fällen der absichtlichen Unterhaltsvereitelung bzw. bei Handlungen mit Schädigungsabsicht rein fiktive Einkommens- und Vermögensverhältnisse heranzuziehen hat. Im konkreten Fall sollte der Kindesvater nach Auffassung der zweiten Instanz in diesem speziellen Einzelfall – trotz Vorliegens der Haft und fehlendem Einkommen – Unterhalt leisten (vgl. LG Linz 15 R 542/14b). In der Folge wandte sich der Kindesvater an den OGH.

Der OGH bestätigte seine bisherige Judikaturlinie und hielt fest, dass es dem Unterhaltsverpflichteten wegen seiner Haft auf Jahre hinaus unmöglich ist, ein Einkommen zu erzielen, sodass die Unterhaltsfestsetzung aufgrund des vor der Haft bezogenen Einkommens absolut losgelöst von den realen Verhältnissen und völlig fiktiv wäre. Der Unterhaltsfestsetzung käme daher ein rein pönaler Charakter zu, der sich aus dem Unterhaltsrecht nicht ableiten lässt (vgl. OGH 8 Ob 78/15a).

Fazit
Ein Unterhaltspflichtiger wird während der Verbüßung der Freiheitsstrafe mangels Leistungsfähigkeit von seiner Unterhaltsverpflichtung enthoben; dies unabhängig davon, ob die Straftat auf einem Fehlverhalten beruht, das sich auf die Unterhaltspflicht bezieht. Lediglich ein in Strafhaft befindlicher Unterhaltsverpflichteter, der über Barvermögen verfügt, hat seine Vermögenssubstanz heranzuziehen.

Im Lichte der Resozialisierung eines in Strafhaft befindlichen Unterhaltsverpflichteten erscheint diese Entscheidung konsequent und richtig, da während längerer Haft hohe Unterhaltsrückstände auflaufen (können), die der Unterhaltspflichtige selbst nach seiner Entlassung nicht (sofort) oder nur zum Teil und wohl auch nur über einen längeren Zeitraum begleichen können wird. Hingegen ist diese Entscheidung aus der Sicht eines volljährigen Kindes wohl unbefriedigend, da ab dem Erreichen der Volljährigkeit kein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss, der unter bestimmten Umständen vom Staat geleistet wird, besteht und der Unterhaltsberechtigte womöglich keinen Unterhalt bezieht.

SAXINGER berät Sie gerne im Zusammenhang mit Unterhaltsthemen, wie Unterhaltsforderungen und Nachprüfung von festgesetzten Unterhaltsbeträgen.

Autoren: Birgit Leb & Stefanie Thuiner