Brüssel: Stresstest für Compliance Programme

Kartellgeldbußen als Belastung des Unternehmensertrags
Ziel von Unternehmen ist es, hohe Gewinne zu erwirtschaften. Hierfür sind oftmals ein hohes Preisniveau bzw. zumindest das Ausbleiben eines Preiskampfs oder eines zu aggressiven Wettbewerbs nützlich. Sollte letzteres aber auf einem kartellrechtlichen Verstoß basieren, werden bei Aufdeckung eines Kartells empfindlich hohe Geldbußen durch die Wettbewerbsbehörden verhängt (bis zu 10% der Umsätze des letzten Geschäftsjahres). Schon allein im laufenden Jahr verhängte die Europäische Kommission Geldbußen in Höhe von über EUR 1,4 Mrd., das österreichische Kartellgericht von fast EUR 0,5 Mio. und das deutsche Bundeskartellamt von insgesamt über EUR 400 Mio. Zusätzlich können Geschädigte Schadensersatz verlangen. Ob sich dabei Absprachen noch lohnen?

Kern des Übels
Wettbewerbswidrige Absprachen werden nicht nur auf Geschäftsführer-Ebene getroffen. Jeder Mitarbeiter oder Vertreter des Unternehmens kann in solche Absprachen verwickelt sein, oftmals sogar ohne Wissen der Geschäftsführung. Kern des Problems ist häufig, dass Mitarbeiter mit der heute strengen Rechtslage des Kartellrechts nicht vertraut sind und somit oftmals gar nicht wissen, dass ihre gewohnten Geschäftspraktiken – die vielleicht früher sehr wohl legal waren - gegenwärtig allerdings einen schweren Rechtsverstoß bilden.

Compliance Programm als Heilmittel?
Seitenlange Compliance Richtlinien und passive Online-Compliance Tests galten in den letzten Jahren oft als „state of the art“. Nachteilig hierbei ist jedoch, dass den Mitarbeitern kein Ansprechpartner zur Verfügung steht und somit keine eigenen Fragen zur Aufklärung gestellt werden können. Weiters sind solche Tests nicht immer branchenspezifisch und können oft zu Verwirrungen führen.

Es zeigt sich allerdings, dass trotz solcher Compliance Maßnahmen nicht immer Verstöße verhindert werden können. Somit ist es nicht verwunderlich, dass Wettbewerbsbehörden derzeit Compliance Programme nicht als Milderungsgrund bei der Geldbußenberechnung beachten, da „ein effektives Compliance Programm ja einen solchen Verstoß gerade verhindert hätte“. Zwar hatte das Gericht in der Rechtssache T-391/09 Evonik Degussa GmbH und AlzChem AG gg Kommission entschieden, dass die Kommission bei Berechnung der Geldbuße die Einführung eines Compliance Programmes bzw. Befolgungsprogrammes zwar als mildernder Umstand betrachten kann, aber nicht zwingend muss.
Doch wie führe ich ein effektives Compliance Programm ein bzw. wie kann festgestellt werden, ob mein Compliance Programm effektiv ist?

Effektive Compliance Programme
Bei der Einführung eines Compliance Programms ist es wichtig, dass es – angepasst an die Unternehmensgröße - einfach ist und dass jeder Mitarbeiter verstanden hat, was bereits in seinem Arbeitsumfeld einen Verstoß begründen kann. Gerade letzteres kann meist nur durch eine Live-Schulung durch einen Kartellrechtsexperten versichert werden, da Mitarbeiter so die Gelegenheit haben, praxisnahe, spezifische Fragen zu stellen. Zusätzlich ist es unumgänglich, dass sich die Unternehmensführung für eine kartellrechtlich saubere Arbeitsweise einsetzt. Auch nach Live-Schulungen sollte den Mitarbeitern die Möglichkeit gegeben werden, weitere Fragen an einen Kartellrechtsexperten oder einen Compliance-Officer stellen zu können.

Ein zusätzlicher Vorteil von Live-Schulungen ist, dass in solchen kartellrechtskritische Sachverhalte eher ans Tageslicht kommen und man entweder bereits in der Schulung oder im Nachgang zu einer Lösung z.B. zur Abstellung bzw. Richtigstellung eines solchen kartellrechtswidrigen Verhaltens kommen kann.

Stresstest von Compliance Programmen
Sollte ein Compliance Programm bereits eingeführt worden sein, sollte es zunächst auf die Ausgestaltung geprüft werden. Es ist darauf zu achten, dass (i) alle Mitarbeiter, die in kritischen Positionen sind (vor allem Geschäftsführung, Vertrieb und Einkauf), alle 1-2 Jahre und (ii) neue Mitarbeiter in solchen Positionen so bald als möglich geschult werden.
Bei der Prüfung der Schulungsunterlagen sind neben Aktualität folgende Punkte zu beachten:

  • Gab es neben den Unterlagen auch Schulungen durch einen Kartellrechtsexperten?
  • Sind die Unterlagen bzw. Schulungen jeweils in der Muttersprache der Mitarbeiter verfasst?
  • Sind die Unterlagen praxisnah und spezifisch auf das Unternehmen angepasst?
  • Haben die Mitarbeiter die Möglichkeit, Fragen bzgl. der Rechtsvorschriften zu stellen?
  • Haben die Mitarbeiter überhaupt verstanden, inwieweit Kartellrecht in der Praxis eine Gefahrenquelle für sie ist und wie sie dieses Wissen im Alltag anwenden müssen?

Vor allem der letzte Punkt bedarf einer genauen Prüfung. Dies kann durch (i) eine (weitere) Live-Schulung eines Kartellrechtsexperten, (ii) einen gezielten Fragebogen an die Mitarbeiter mit kartellrechtlichen Sachverhalten oder (iii) gezielte Einzelgespräche mit Mitarbeitern erfolgen.

Erst wenn gewährleistet ist, dass alle Mitarbeiter verstanden haben, ab wann sie bereits einen Kartellverstoß begehen würden, kann ein Compliance Programm effektiv sein. Gegen „schwarze Schafe“ gibt es allerdings kein Allerheilmittel!

Positiver Nebeneffekt von Compliance Programmen
Neben dem Abstellen etwaiger kritischer Verhaltensweisen, kann durch ein Compliance Programm auch festgestellt werden, falls ein Unternehmen Opfer eines Kartells ist, nämlich beispielsweise durch den Einkauf von Rohstoffen oder sonstige Produkte oder Dienstleistungen, deren Preise aufgrund einer Kartellabsprache zu hoch sind. Folglich können diese Mitarbeiter ihr neu gewonnenes Wissen z.B. in Preisverhandlungen gezielt einsetzen oder evt. Schadenersatz fordern.

Autorin: Christina Hummer (Brüssel, Wien)