Brüssel: „Gun Jumping“ wird ernst genommen – 20 Millionen Euro Geldbuße für einen Verstoß gegen das Durchführungsverbot

Durchführungs- und Kartellverbot
Anmeldepflichtige Zusammenschlüsse von Unternehmen dürfen erst nach Freigabe durch die zuständigen Wettbewerbsbehörden vollzogen werden. Es besteht daher zunächst ein „Durchführungsverbot“.

Somit gilt das Kartellverbot gemäß Art 101 AEUV (bzw. der jeweiligen nationalen Rechtsordnung) jedenfalls für die gesamte Zeit vor dem (geplanten) Vollzug einer Transaktion. Die beteiligten Unternehmen des beabsichtigten Zusammenschlusses haben daher sicherzustellen, dass sie vor dessen Freigabe keine Maßnahmen setzen, die einer Durchführung des Zusammenschlusses gleichkommen oder einen Verstoß gegen das Kartellverbot darstellen könnten.

Verstöße gegen das Durchführungsverbot können von den Wettbewerbsbehörden mit der Verhängung eines Bußgeldes von bis zu 10 % des weltweiten Konzernumsatzes geahndet werden. Bei der Berechnung sind auch die Schwere und die Dauer des Verstoßes mit einzubeziehen – als mildernde, oder erschwerende Umstände.

Erst am 23.07.2014 verhängte die EU-Kommission wegen eines Verstoßes gegen das Durchführungsverbot eine Geldbuße in Höhe von 20 Millionen Euro. Das hiervon betroffene Unternehmen ist der norwegische Lachszüchter und -verarbeiter Marine Harvest ASA („Marine Harvest“).

Auch auf nationaler Ebene wurden bereits in mehreren Jurisdiktionen Geldbußen in Millionenhöhe verhängt (z.B. 4,5 Millionen Euro gegen die Mars Inc. in Deutschland oder 1,5 Millionen Euro gegen die Lenzing AG in Österreich).

Im Jahr 2011 wurde in Deutschland gegen die Interseroh Scrap and Metals Holding GmbH eine Geldbuße in Höhe von 206.000,00 Euro beschlossen. In Österreich sah sich ein Unternehmen, das im Bereich „Ersatz und Verschleißteile für Kraftfahrzeuge“ tätig ist, jüngst mit einer Geldbuße von 23.000,00 Euro konfrontiert.

„Gun Jumping“
Selbst bei einer vorschriftsmäßigen Anmeldung des Zusammenschlussvorhabens ist die vorzeitige Umsetzung von Vollzugsmaßnahmen und Integrationsvorbereitungen bereits ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot. Solche Fälle werden als „Gun Jumping“ bezeichnet. Der Begriff hat seinen Ursprung im Sport und bedeutet sinngemäß „einen Frühstart hinlegen“.

Nach jüngster Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in der Rechtssache C-84/13P, Electrabel gegen Europäische Kommission, stellt jeder Verstoß gegen diese Vorschriften eine schwere Zuwiderhandlung dar. Unternehmen sollen daher bei der Umsetzung von Zusammenschlussvorhaben Vorsicht walten lassen und einer Entscheidung der Wettbewerbsbehörden nicht vorgreifen.

Allerdings ist nachgewiesen, dass Unternehmenszusammenschlüsse dann besonders erfolgreich sind, wenn sie gut vorbereitet und rasch umgesetzt werden. Für beteiligte Unternehmen ist es daher unumgänglich, zu wissen, welche Maßnahmen wann gesetzt werden dürfen, ohne gegen das Wettbewerbsrecht zu verstoßen.

Kürzlich wurde der Erwerb von 48,5 % der Anteile der Morpol ASA („Morpol“) durch die Marine Harvest z.B. erst acht Monate nach „Closing“ bei der Kommission als Zusammenschluss angemeldet. Aufgrund der niedrigen Beteiligung aller anderen Aktionäre erwarb die Marine Harvest durch diesen Kauf eine Stimmenmehrheit im akquirierten Unternehmen. Da die tatsächliche Übernahme vor der förmlichen Anmeldung sowie vor der Freigabe durch die Kommission erfolgte, wurde die Transaktion als klarer Verstoß gegen das Durchführungsverbot beurteilt. Marine Harvest, welche bereits Erfahrung mit den relevanten Fusionskontrollvorschriften hatte, habe durch die Übernahme vor der Freigabe zumindest fahrlässig gehandelt. Dabei sei der Verstoß deswegen besonders schwer gewesen, weil der Zusammenschluss nur unter Auflagen freigegeben wurde bzw. in seiner ursprünglichen Form schwere wettbewerbsrechtliche Bedenken mit sich trug. Bei der Berechnung der Geldbuße wurde hinsichtlich der Angemessenheit sowie der Abschreckungswirkung der Geldbuße allerdings berücksichtigt, dass Marine Harvest bis zur Freigabe keine Stimmrechte ausgeübt und sie die Kommission kurz nach der Transaktion informiert hat.

Informationsaustausch
Ein besonderes Risiko für einen Verstoß gegen das Durchführungsverbot besteht bei einem kartellrechtswidrigen Informationsaustausch. Auch eine verfrühte Einflussnahme auf die operative Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft durch das erwerbende Unternehmen ist gefährlich.

Zwischen den am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen werden im Vorfeld der Transaktion sowohl im Rahmen einer Due Diligence als auch zu Zwecken der Integrationsplanung nämlich häufig interne Unternehmensinformationen ausgetauscht. Da diese Unternehmen im Sinne des Kartellrechts noch eigenständig und somit potentielle Wettbewerber sind, hat dieser Informationsaustausch im Einklang mit dem Kartellrecht zu stehen. Wenn sich das erwerbende Unternehmen noch vor Genehmigung des Zusammenschlusses vertraglich Einfluss auf die Zielgesellschaft sichert, um z.B. Wertminderungen der Zielgesellschaft zwischen „Signing“ und „Closing“ zu verhindern, müssen auch diese Einflussmöglichkeiten in Einklang mit den kartellrechtlichen Vorschriften stehen.

Jeglicher Informationsaustausch sollte daher auf das notwendige Maß zur Durchführung einer Due Diligence und der Integrationsplanung beschränkt sein. Grundsätzlich ist dabei der Austausch z.B. von Bilanzen, Umsatzzahlen, Kosten, Produktlisten und –beschreibungen, allgemeinen Informationen, Informationen über Datenverarbeitung, Arbeitsabläufen, Management, Personal und über anhängige Verfahren gegen das zu erwerbende Unternehmen zulässig.

Dabei ist es jedoch empfehlenswert, ein System einzurichten, um verlässlich nachvollziehen zu können, welche Informationen zu welchem Zeitpunkt und Zweck ausgetauscht wurden. Weiters ist darauf zu achten, dass die ausgetauschten Informationen nicht zu einem nachträglichen wettbewerbswidrigen Zweck verwendet werden. Eine Absicherung kann insoweit beispielswiese erfolgen, wenn Informationen nur an eine eingeschränkte Gruppe von Personen innerhalb des Unternehmens offengelegt werden, die weder in tägliche operative Geschäfte eingebunden noch für das Marketing, für die Preisgestaltung oder für den Verkauf von konkurrierenden Produkten zuständig sind.

Ein Austausch von Kundenlisten, Preiskalkulationsrichtlinien, Informationen bezüglich der zukünftigen Preispolitik sowie Konditionen ist dagegen stets unzulässig.

Einflussmöglichkeiten auf die Zielgesellschaft
Die an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen vereinbaren regelmäßig, wie die Zielgesellschaft oder die zu fusionierenden Unternehmen zwischen „Signing“ und „Closing“ zu führen sind. Solche Bestimmungen werden als „Ordinary Course of Business-Klauseln“ bezeichnet. Ihr Zweck liegt darin, sicherzustellen, dass der Wert der Gesellschaft, die Gegenstand des Zusammenschlusses ist, vor dem „Closing“ nicht verringert wird. Soweit diese Klauseln das Zielunternehmen verpflichten, das Unternehmen nach „Signing“ weiter so zu führen, wie es bislang geführt wurde, sind sie nach ausdrücklicher Feststellung der Kommission zulässig.

Grundsätzlich sollte bei der Formulierung derartiger Klauseln darauf geachtet werden, dass (i) die Klausel notwendig ist, um den Wert der Zielgesellschaft zu erhalten, (ii) dieser Schutz nicht durch eine weniger einschränkende Maßnahme erreicht werden kann und (iii) die durch die Klausel eingeschränkte Verhaltensweise nicht gegenwärtige oder zukünftige Preisstrategien betrifft.

Diesem Grundsatz folgend wurden in der Praxis solche Verpflichtungen bisher als zulässig erachtet, die z.B. voraussetzen, dass das Geschäft in bisherigem Umfang und Praxis weiter betrieben wird, keine für das Unternehmen nachteilige Handlungen vorgenommen oder niemandem besondere Rechte oder Vergünstigungen für den Fall eines Kontrollwechsels angeboten werden.

Neben „Ordinary Course of Business-Klauseln“ werden zwischen „Signing“ und „Closing“ regelmäßig auch Konsultations- bzw. Bewilligungspflichten für bestimmte Geschäfte vorgesehen. Solche Klauseln, die dem Erwerber nach „Signing“ einen Zustimmungsvorbehalt bei Maßnahmen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs einräumen oder derartige Maßnahmen ganz verbieten, werden als „Material Adverse Effect-Klauseln“ bezeichnet. Dem Zielunternehmen kann so beispielsweise verboten werden, (i) Dividenden anzukündigen oder auszuschütten, (ii) Unternehmensaktien auszugeben, zu belasten oder zu verpfänden, (iii) die Unternehmensstatuten zu verändern, (iv) andere Unternehmen zu erwerben oder Unternehmenskaufverträge abzuschließen, (v) geistige Eigentumsrechte oder andere wesentliche Vermögensgegenstände außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsverlaufes zu belasten oder zu verpfänden, (vi) wesentliche Neuinvestitionen zu tätigen oder zu vereinbaren, (vii) maßgebliche Steuerwahlentscheidungen zu treffen oder Vergleiche über erhebliche Steuerschulden zu schließen, (viii) über den normalen Geschäftsbetrieb hinausgehend Ansprüche oder Verbindlichkeiten anzuerkennen, zu begleichen oder zu erlassen, oder (ix) Gerichtsverfahren mit Ausnahme routinemäßiger Zahlungsklagen einzuleiten.

Schlussfolgerungen
„Gun Jumping“ kann Unternehmen in vielerlei Hinsicht beeinträchtigen. Zusätzlich zur finanziellen Bedrohung sind auch die aus den Zuwiderhandlungen resultierenden Imageschäden und damit verbundene Minderungen des Umsatzes bzw. des Verkaufsvolumens mit in Betracht zu ziehen. Wiederholungstäter müssen durchwegs mit höheren Geldbußen rechnen.

Zudem ist während der Verhandlungen im Laufe einer Transaktion der Informationsaustausch zu begrenzen, um schwerwiegende Wettbewerbsrechtsverstoße und folglich hohe Geldbußen zu vermeiden.

Es empfiehlt sich daher, externe Berater heranzuziehen, die sowohl die Informationen bearbeiten und auf deren Grundlage entsprechende Gutachten erstellen,als auch die Anmeldepflicht der Transaktion feststellen und durchführen können.

Autorin: Christina Hummer (Brüssel, Wien)